Das Winzerhaus hat seine Architektur über die Jahrhunderte markant verändert. Es wurde mehrfach um- und angebaut. Teile des Kellers gingen teilweise ins Eigentum des Nachbars über. Das Haus ist im Grundbuch mit drei separaten Parzellen eingetragen. Und es ragt im Überbaurecht ins Nachbarhaus hinein. Wie geht man mit einem solchen Objekt denkmalpflegerisch sinnvoll um?

Das Winzerhaus an der Sägegasse in Zollikon

Um 1400 wurde es mitten in die Weinberge im Kleindorf Zollikon gebaut. Der Alterich Krieg legte es 1445 in Asche. 1451 wurde es wieder aufgebaut mit hochliegendem Eingang bergseits, auskragend seeseitig. Der Eigentümer gewährte einen talseitigen Anbau mit Grenze an der Kellermauer, so dass ein Überbaurecht entstand. 1843 überliess er dem Nachbarn den mittleren Keller zur Weinlagerung. 1918 umriss ein übereifriger Geometer bei der Erstellung des Grundbuches dieses Mittelfeld mit einer Grenze und schlug es zum Eigentum des Nachbarn. Später erfolgte der Anbau mit der Waschstube im Miteigentum der Nachbarn und dem Geissenstall. Dieser wurde in der Neuzeit mit der Küche überbaut.

Als wir 2009 von den Erben um eine Beurteilung des Hauses gebeten wurden, war uns schnell klar, dass man mit dem klassischen Ansatz der Denkmalpflege nicht weit kommen würde? Wie sollte man einen«ursprünglichen Zustand» überhaupt definieren?

Eine neue Haltung in der Denkmalpflege

Die klassische Denkmalpflege inventarisiert die Qualitäten eines Bauwerks nach den Kriterien der kunst- und architektonischen Schule des 19. Jahrhunderts und bestimmt das Mass der Schutzwürdigkeit. Unsere Stiftung hat diesem konservierenden Ansatz eine neue Auffassung gegenübergestellt, die «Klassische Moderne». Diese ist Ausdruck einer differenzierten Sicht und Haltung. Fünf Attribute verdeutlichen ihr Wesen: Geschichtssinnlichkeit, Eigenwert der Konstruktion, neues Raum- und neues Lichtempfinden, Materialsinnlichkeit.

Die Beständigkeit der Stütze

Zur Verdeutlichung der unterschiedlichen Auffassungen illustrieren wir sie am Beispiel einer hölzernenStütze. Sie hat sich durch die Zeiten verändert, wurde beschädigt, verkleidet. Jetzt ist sie blossgelegt. Der klassische Denkmalpfleger und der gutmeinende Heimatschützer werden die Stütze von Grunde auf reinigen und wie ursprünglich neu aufpolieren oder rekonstruieren. Die «Klassische Moderne» legt die Stütze frei, säubert und repariert sie wo nötig. Und belässt sie im Übrigen mit allen Spuren ihrer Geschichte. Den Spuren der Zweitverwendung zum Beispiel – Einschnitten für Büge, Zapflöcher, Farbreste. Sie machen die Stütze zu einem Zeitzeugnis, zu einer konstruktiven Skulptur der Geschichts- und Materialsinnlichkeit. Darin liegt die neue Dimension eines gestalterischen Reichtums, den das ursprüngliche Objekt nicht besass.

Und das Haus heute?

Das Haus ist denkmalpflegerisch inventarisiert. Die heutige Ausformung des Hauses ist im besten Falle wiederum eine Zwischenstation auf dem Weg in die Zukunft. Frühere Stationen sind auf freigelegten Ebenen erkennbar. Bald wird das Heute als weitere Facette zur Vergangenheit zählen.